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Titel
Die Familie von Wattenwyl / La famille de Watteville.


Herausgeber
Braun, Hans
Erschienen
Bern 2004: Licorne
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Thomas von Graffenried

1998 entschlossen sich die Angehörigen der bernischen Familienkiste von Wattenwyl, ein Buch über die Geschichte ihrer Familienangehörigen verfassen zu lassen. Das vorliegende soll sowohl ihnen wie einem weiteren Interessiertenkreis Einblick in die Familienzusammenhänge ermöglichen. Es ist in deutscher mit jeweiliger Parallelübersetzung in französischer Sprache abgefasst.Von der Geschichte Berns ausgehend ist der Einbezug in die Schweizergeschichte und auch in die allgemeine europäische Geschichte gegeben. Sowohl das Leben einzelner Familienmitglieder wie der Familienverband in seinem Zusammenhalt sollten beschrieben werden. Einerseits situiert das grosszügig illustrierte Buch die Familie in mehreren Epochen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Andererseits stellt es dieFrage nach dem Selbstverständnis der Familie. Wie ist es dokumentiert? Was hält die weit verzweigte Familie zusammen? Wo bestehen innerfamiliäre Zusammenhänge?

Der mittelalterliche Teil belegt den Namen Wattenwyl erstmals im Kiburger Urbar 1260. Wattenwil bedeutet Gehöft am Wasser und verweist auf den gleichnamigen an der Gürbe gelegenen Ort. Damals erwarben die ersten Wattenwyl dort Güter. Der Aufstieg begann im Handel im 14. und 15. Jahrhundert. Drei prägnante Familienmitglieder waren Schultheissen: Jacob (1466–1525), der als Verantwortlicher in die Mailänder Kriege gezogen war und 1516 die Friedensverhandlungen mit Frankreich führte. Sein Beziehungsnetz pflegte er in der Freigrafschaft, weil ihm das Ausgreifen Berns nach Westen ein Anliegen war. Eine Votivtafel, ein Ölbild geschaffen durch den Künstler Jacob Boden, zeigt im Vordergrund fünf Heilige und ihn mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Gütern Thun, Burgistein, Uttigen und Gerzensee. Einer seiner Söhne, Hans Jakob (1506–1566), folgte dem Vater im Amt. Ein zweiter, Niklaus (1492–1551), war Münsterpropst, von dem die Familie noch heute ein Gebetsbuch besitzt. Johann (1541–1604) führte den Feldzug an den Genfersee, da Bern und Savoyen um das Chablais, das Pays de Gex und um das calvinistische Genf stritten.

Der zweite Teil des Buches belegt für das Ancien Régime ununterbrochen 10 Magistratengenerationen des zahlenmässig grössten bernischen Geschlechts. – Daneben stand der Solddienst für Frankreich und Holland im Vordergrund, wo zwischen 1600 und 1798 91 Söhne von Wattenwyl Fremden Dienst leisteten. Im 2. Villmergerkrieg und im Toggenburger Krieg stellten die Wattenwyl vier Obersten. Beim Einfall der napoleonischen Truppen 1798 kommandierte einer die Division Murten und ein anderer die Aargauer Division.

Geistliche Laufbahnen waren seltener. Erwähnenswert ist etwa der Pietist Friedrich (1700–1777), der in Halle Kontakt mit dem Herrnhuter Grafen Niklaus Ludwig von Zinzendorf fand. Dieser gab ihm Anlass zur Gründung der Erziehungsanstalt im neuenburgischen Montmirail. Zu erwähnen ist auch die zum Katholizismus zurückgekehrte burgundische Linie, deren Mitglieder sich als Diplomaten für die spanische Krone auszeichneten. Zudem war Jean Bischof von Lausanne. Fünf Töchter waren Äbtissinnen im Kloster Château Chalon.

Um das Gefälle innerhalb der Familie etwas auszugleichen und um die innerfamiliären Spanungen zu mildern, gründeten 1715 dreiunddreissig Mitglieder die bis heute bestehende Familienkiste. Durch die Form von institutionalisierter Solidarität sollten die ökonomische Situation ärmerer Familienmitglieder verbessert, Erziehung für Söhne und Töchter gefördert und Position und Bewusstsein der Familie gestärkt werden. Anlageformen waren Aktien und Alprechte. Die Kiste hat bis heute ihre integrative Kraft bewahrt, obwohl sie im 19. Jahrhundert von aussen her Einschränkungen erfahren musste.

Der Teil der Moderne zeigt den Prozess der Neuorientierung in einer veränderten Gesellschaft. Begonnen werden kann mit zwei markanten Personen des beginnenden 19. Jahrhunderts. Sigmund David Emanuel (1769–1817) und Niklaus Rudolf (1760–1832) gingen als Mitglieder der Consulta nach Paris, wo ihnen die Mediationsverfassung auferlegt wurde. Niklaus Rudolf war in der Folge Landammann der Schweiz, Präsident der Tagsatzung und Oberbefehlshaber der Eidgenössischen Truppen. Manche Mitglieder der Familie standen den Liberalen distanziert gegenüber. Sie befanden sich entweder dem Sarnerbund in Schwyz nahe oder fanden im Kreis um die Konservativen Anhängerschaft. Mit Eduard Blösch kämpften sie um ihre Interessen. Teilweise blieben sie so in der Gemeinde- und Kantonspolitik tätig. Wilhelm Johann (1850–1922) war Nationalrat.

Militärisch leitete die Aufhebung der Fremden Dienste von 1860 eine starke Mitgliedschaft im schweizerischen Offizierskorps ein. Berufliche Neuorientierung führte die Familie in den akademischen Bereich, ins Bankenwesen, in den Einsatz für gemeinnützige Tätigkeiten. Im 20. Jahrhundert kamen pädagogische, therapeutische und künstlerische Berufe dazu.

Historisch tätig war der Gutsbesitzer von Oberdiessbach, Carl Rudolf Eduard (1820–1874), der ein zweibändiges Werk über die mittelalterliche Berner Geschichte schrieb und dafür in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit Beachtung fand.

Im Verlaufe der Jahrhunderte besassen die Wattenwyl zahlreiche Güter, so etwa Diessbach, Belp, Jegenstorf und Burgistein, sowie Rebgüter am Bieler- und Genfersee wie etwa Montbenay. Markante Stadthäuser und Campagnen kamen dazu. Die Auswanderung war stets eine Tatsache, obwohl der Zusammenhalt der ursprünglich drei Linien auf Distelzwang und auf Pfistern und im Burgund bestehen blieb. Heute existieren die ersten zwei Linien weiter, die untereinander Kontakt halten. Die Kistenversammlung vereinigt die männlichen Mitglieder jährlich einmal im Winter im vom Bundesrat zur Verfügung gestellten Béatrice von Wattenwyl Haus, das von einem Familienmitglied der Eidgenossenschaft vermacht worden war und sie es 1934 übernehmen durfte

Der vierte Teil des Buches ist der Familienforschung gewidmet. Die früher vorgenommene Rückführung des Ursprungs des Geschlechts auf die Welfen wird heute als legendenhaft angenommen. Wappen und Spruch sind durch christliches Motiv geprägt. Zu erwähnen ist, dass Alexander Ludwig (1714–1781), der Präsident der bernischen oekonomischen und Helvetischen Gesellschaft war, sich um Familiengeschichte bemühte. Er forderte das Geschlechter- und Stammbuch. Im 20. Jahrhundert gaben Familienmitglieder selber Anstoss zu biographischen oder genealogischen Forschungen. Solche Beteiligung drückte sich auch im Bestehen einer historischen Kommission aus, die die Abfassung des vorliegenden Buches begleitete. Der Autor verweist mit seinen Personenangaben jeweils auf die vor Jahrzehnten gedruckt erschienene Familiengenealogie. Deshalb sollte der Leser diese beiziehen. Andernfalls wird er bei der Lektüre Mühe haben, die Personen ordnen zu können.

Ein ausführlicher bibliographischer Anhang ist erstellt. Aus sieben öffentlichen und privaten Archiven sind ungedruckte Quellen erfasst. Gedruckte Quellen und Literatur geben möglichst vollständig Publikationen im lokalen und europäischen Umfeld an, wo die Wattenwyl Erwähnung finden. Dabei fehlt jedoch der ausführliche im Benziger Verlag publizierte Briefwechsel Carl Rudolf Eduards mit seinem Studienfreund, dem Luzerner Konservativen Philipp Anton von Segesser, in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es ist nicht auszuschliessen, dass sonstige Lücken bestehen bei Angaben von Besitzungen oder der Angabe vielerorts verstreut vorhandener Gegenstände, die bleibende Hinweise auf die Existenz der Familie vermitteln. Es genügt zudem nicht, Besitzerangaben der über zweihundertjährigen Eigentümerschaft der Twingherrschaft Burgistein zu nennen. Der quellenmässig im dortigen Herrschaftsarchiv belegte, unter den Wattenwyl erworbene grosse Grundbesitz des Talberges im Simmental hätte Erwähnung finden können.

Hans Braun hat dennoch mit den Möglichkeiten eines freischaffenden Historikers ein Vorhaben verwirklicht, das möglichst umfassend eine Familiengeschichte präsentieren will. Sicher sinnvoll und richtig war die enge Mitarbeit mit familiengeschichtlich interessierten Mitgliedern, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen das Entstehen des Buches mit ihren Auflagen begleiteten. Sowohl die Spezialkenntnisse in mediävistischer und neuzeitlicher Geschichte wie das Interesse des Autors an der Materie sind deutlich spürbar.

Zitierweise:
Thomas von Graffenried: Rezension zu: Hans Braun: Die Familie von Wattenwyl / La famille de Watteville. Bern, Licorne Verlag, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 354-356.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 3, 2005, S. 354-356.

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